Der virtuelle Dämon
„Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los.“
(Johann Wolfgang von Goethe)
„…und beim nächsten Mal versuchen sie doch einfach, pünktlicher zu sein, sie unfähiger Trottel!“, brüllte Lanigan. Rumms. Die Tür war zu.
„Versuch du doch einfach mal, freundlicher zu sein, Idiot!“, sagte Frank leise zu der geschlossenen Tür, und ging zu seinem Lieferwagen zurück, der mit offener Schiebetür am Straßenrand geparkt war.
Frank war Paketbote. Und er hasste Lanigan. Patrick Lanigan war der unfreundlichste Mensch, den er je kennen zu lernen das Pech gehabt hatte. Und ausgerechnet dieser Kerl war ein Dauerkunde des Paketdienstes. Bekam irgendwelche Akten fast täglich nach Hause geliefert. Vielleicht war er Anwalt oder so was, aber das war Frank total egal. Der Typ war ein echter Widerling, und er hasste ihn, und alles andere zählte für Frank nicht.
Der Rest seiner Tour verlief wie immer und ohne besondere Ereignisse, und als er am späten Nachmittag nach Hause kam, hatte er sich abgeregt und fühlte sich wieder etwas besser. Endlich Wochenende.
Frank Kershner war Ende zwanzig, und durch und durch unscheinbar. Er war weder groß, noch sah er besonders gut aus. Kurze, rötliche Haare, ein blasses Gesicht voller Sommersprossen, blassblaue Augen und eine Nase, die etwas zu kurz geraten war, was ihr ein leicht schweineartiges Aussehen verlieh. Und er hatte nicht gerade das, was man eine gute Figur nennen würde.
„Na sieh mal an, was für ein toller Kerl. Den Grips von Arnold Schwarzenegger und die Figur von Einstein!“, hatte ihm einmal eine junge Frau an den Kopf geworfen, die er im „Dungeon“, einem Gothic-Club, anzubaggern gewagt hatte. Das hatte ihn tief verletzt, obwohl er Abfuhren von Frauen eigentlich schon gewohnt war. Aber Frank war ein totaler Gothic-Fan, und er sehnte sich nach kaum etwas mehr als nach der Anerkennung der Szene- Insider. Und genau diese Anerkennung blieb ihm verwehrt. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass sich Frank nicht dem Dresscode der Szene anpassen wollte. Er hielt von solchen Äußerlichkeiten einfach nichts. Er mochte seine karierten Flanellhemden, und an seinen ausgebeulten „stonewashed“-Jeans und den braunen Slippern war ja wohl auch nichts auszusetzen, fand er. Vielleicht lag es aber auch an der leicht aufdringlichen Kumpelhaftigkeit, mit der er auf die Leute zuging.
Aber darauf würde Frank niemals von sich aus kommen.
In die Szene-Clubs ging er schon seit Monaten nicht mehr. Die Menschen in den paar Läden, in die er überhaupt rein gelassen wurde, ignorierten ihn sowieso immer. Sollten sie ruhig. Sein Tag würde noch kommen, da war er sich sicher. Seit einiger Zeit chattete Frank lieber im Internet mit anderen Web-Usern im „Zirkel der Dunkelheit“, wie sich die Internetseite nannte. Frank war dort unter dem Pseudonym „Kainskind“ jedes Wochenende im Chat anzutreffen, denn hier fand er Leute, die mit ihm „redeten“, ohne ihn auf sein Äußeres zu reduzieren.
Heute Abend war er mal wieder als „Kainskind“ eingelogt, und chattete mit „Wolfgirl666“ über sein Lieblingsthema: Vampire. Er war bereits seit einer guten halben Stunde dabei und diskutierte mit „Wolfgirl“ die Möglichkeiten der Vampire, bei Tageslicht unerkannt unter den Menschen leben zu können, als sich plötzlich ein User Namens „Zmeu“ in das „Gespräch“ einmischte.
Er wollte die Message eigentlich sofort mit der Computer-Maus wegklicken, aber etwas hielt ihn davon ab. Frank hatte in der Nachricht einen Link auf eine andere Internetseite entdeckt, und die dazu gehörende Nachricht ließ seine Neugierde erwachen. „Hallo, Ihr Freunde der Dunkelheit, ladet Euch die neue „Symphonie der Unaussprechlichen“ runter, und erlebt den absoluten Kult bereits, bevor er in die CD-Shops kommt!“ stand dort, und dahinter der anklickbare Link.
Für einen kurzen Moment kann ich den Chat ja unterbrechen, dachte sich Frank, und klickte den Link mit der rechten Taste seiner Maus an, um in dem erscheinenden Kontextmenu die Option „In neuem Fenster öffnen“ auszuwählen.
Die sich öffnende Internetseite war schwarz, und völlig leer. Na toll, dachte Frank, vielen Dank. Wegen der Scheiße unterbreche ich auch noch meinen Chat. Er wollte gerade die leere Seite wieder schließen, als ihm auffiel, dass sie gar nicht wirklich leer war.
In der rechten unteren Ecke des Bildschirms erkannte er ein winziges Ω- Symbol, das sich aufgrund der dunkelgrauen Farbe fast nicht vom schwarzen Hintergrund abhob. Neugierde flackerte erneut in ihm auf. Als er mit dem Mauscursor über das Ω fuhr, veränderte sich die Farbe des Symbols in rot. Er klickte es an, und es öffnete sich das Menu für den Download. Er wählte das Verzeichnis „Eigene Dateien“ auf der Festplatte seines Computers aus, und startete den Ladevorgang. Es musste sich um eine große Datei handeln, denn die angezeigte Downloadzeit betrug voraussichtliche 49 Minuten. Und das bei seinem schnellen Breitband-Internetzugang! Frank Kershner beschloss, den Download im Hintergrund weiterlaufen zu lassen, und widmete sich vorerst wieder dem „Gespräch“ mit „Wolfgirl666“. Als er nach einer guten Stunde den Chat verließ, hatte er die Datei längst wieder vergessen. Er schloss das Chatfenster, und entdeckte das Downloadmenu, auf dem nun zu lesen war: „Download beendet“. Er klickte mit dem Mauscursor auf „OK“, und sah sich die Datei an.
Mist, dachte er, kann man so nicht abspielen. Ich muss es zuerst auf eine CD brennen. Hastig kramte er in der Schublade seines Schreibtisches, irgendwo flog doch bestimmt noch so ein CD-Rohling herum. Er fand schließlich einen, und legte ihn sofort in das Laufwerk seines CD-Brenners ein. Hoffentlich lohnt sich der Aufwand überhaupt, dachte er. Aber er musste einfach wissen, was und wie die „Symphonie der Unaussprechlichen“ war.
Wenige Minuten später war die CD fertig gebrannt. Zum Anhören auf der Anlage war es bereits zu Spät, die Nachbarn würden sich um diese Zeit bestimmt riesig über eine Dröhnung mit Gothic-Rockmusik freuen, und so beschloss Frank, den tragbaren CD-Player mit den kleinen Kopfhörern zu verwenden. Er legte die CD ein, setzte die Kopfhörer auf und drückte auf die „Play“-Taste, lehnte sich dann in seinem Schreibtischstuhl zurück und schloss die Augen.
Nichts.
Er hörte gar nichts. Bestimmt zwanzig Sekunden lang Stille auf der CD.
Er drehte die Lautstärke hoch. Jetzt war zwar ein leichtes Rauschen in den Kopfhörern zu vernehmen, aber von Tönen auf der CD war immer noch nichts zu merken. Mist, vielleicht habe ich beim Brennen einen Fehler gemacht, dachte Frank, und wollte gerade auf die „Stop“-Taste des Players drücken, als er den ersten Ton hörte. Er konzentrierte sich wieder auf die Aufnahme. Es klang nicht nach Musik, es war mehr ein leises, leicht rasselndes Zischen, und jetzt wurde Frank klar, dass es sich um ein Atemgeräusch handeln musste.
Aha. Ein Intro, dachte er, und hörte weiter. Und ein ziemlich langes, denn auch nach über zwei Minuten war nichts anderes zu hören als ein rhythmisches Atmen, welches langsam, sehr langsam, näher zu kommen schien. Und er könnte schwören, dass es jetzt auch ein wenig schneller wurde, auf einen Höhepunkt zusteuerte. Jetzt war das Atmen schon mehr ein Schnaufen, als wenn jemand, oder etwas (Frank war sich nicht sicher, ob die Geräusche von einem Menschen oder einem Tier stammten) auf den Hörer zugelaufen kam. Einem verdammt großen Tier, setze er in Gedanken hinzu. Das Atmen ging vom Schnaufen in ein überlautes, röchelndes Bellen über.
Und dann, plötzlich, wieder Stille.
Und dann passierte es.
Einen kurzen Moment, nachdem das Geräusch geendet hatte, ertönte in Franks Ohren, nein, in seinem ganzen Kopf, ein Schrei.
Es war kein menschlicher Schrei, das war Frank sofort klar. Ein infernalisch lauter, kreatürlicher Schrei brüllte auf ihn ein, und verursachte Schmerzen. Nicht nur in den Ohren, es lag nicht an der Lautstärke, sein gesamter Körper flammte in heißem Schmerzempfinden auf. Er versuchte instinktiv, sich den Kopfhörer von den Ohren zu reißen, aber er konnte sich nicht bewegen. Er wurde wie von Krämpfen geschüttelt, und sein Ganzes Bewusstsein war ein einziger, schrecklicher, schmerzhafter Schrei. Frank Kershner merkte nicht einmal, das er sich übergab, denn im gleichen Augenblick, in dem sein Magen die Rebellion ausrief, verlor er die Besinnung, und rutschte von seinem Stuhl auf den Fußboden, wo er in seinem erbrochenen Abendessen liegen blieb.
„Wiedersehen, Mrs. Brower. Bis nächste Woche!“
Frank Kershner ging zu seinem Lieferwagen, schnappte sich das Paket für den nächsten Kunden aus dem Laderaum seines dunkelbraunen Lieferwagens und legte es auf dem Beifahrersitz ab, als er sich ans Steuer setze. Frank mochte die alte Mrs. Brower, er lieferte ihr jede Woche ein großes Paket mit Katzenfutter, und sie hatte immer ein paar freundliche Worte für ihn übrig. Manchmal auch ein kleines Trinkgeld. An solchen Tagen mochte er die alte Dame besonders. Money makes the world go around, sang er in Gedanken. Komisch, das alte Lied, hat es nicht Liza Minelli mal gesungen?, kam ihm immer bei Mrs. Brower in den Sinn. Er mochte die alte Dame allerdings weitaus weniger, als er seinen nächsten Kunden hasste. Patrick Lanigan.
Frank fühlte sich elend. Bereits seit drei Tagen wurde er diese lähmende Müdigkeit nicht mehr los. Seit seinem „Schwächeanfall“, so hatte es jedenfalls sein Hausarzt ausgedrückt, hatte er sich noch nicht vollständig erholt. Er war gleich am Montagmorgen zu Doktor Morris gefahren, und hatte ihm von dem Anfall berichtet und sich untersuchen lassen. Von dem Schrei hatte er dem Arzt allerdings nichts gesagt. „Abgesehen von einem leicht erhöhten Blutdruck kann ich nichts feststellen“, hatte Doktor Morris ihm erklärt, während er sich das Stethoskop aus den Ohren zog. “Vielleicht haben Sie einfach im Moment etwas mehr Stress als sonst. Sie brauchen Urlaub, Frank. Gönnen sie sich Ruhe, und schlafen sie mehr. Und sitzen sie nicht mehr so lange vor den Computerbildschirm. Davon kann man epileptische Anfälle bekommen, Frank, und das wird dann noch schlimmer als die Krämpfe, die sie mir geschildert haben. Ich werde ihnen ein pflanzliches Präparat verordnen, dass ihnen ein wenig dabei hilft, ihre innere Ruhe wieder zu finden. Vielleicht sollten sie auch über autogenes Training nachdenken, Frank“
Frank war nach dem Arztbesuch zur Arbeit gefahren, denn Zuhause wollte er auch nicht den ganzen Tag herumsitzen. Er hatte auch das Angebot seines Arztes, ihn für ein paar Tage krank zu schreiben, abgelehnt.
Frank erreichte die Einfahrt von Mr. Lanigan, hielt seinen Wagen an und schnappte sich das Paket. Es war kurz nach elf Uhr vormittags. Der alte Knacker hat bestimmt wieder irgendwas zu meckern, dachte Frank, und stellte fest, dass er sich bereits jetzt über Mr. Lanigan aufregte, ohne ihn überhaupt erst gesehen zu haben. „Reiss dich zusammen, alter Junge“, sagte er leise zu sich selbst, und ging widerwillig auf die Haustür zu. Er streckte die rechte Hand nach der Türklingel aus, brauchte aber gar nicht erst auf den kleinen goldfarbenen Knopf zu drücken, da Mr. Lanigan die Türe bereits öffnete. Frank atmete tief durch.
„Sieh an, der Trottel vom Paketdienst.“, sagte Lanigan mit einem höhnischen Grinsen in seinem feisten Mittfünfzigergesicht. „Schön, dass sie es doch noch bis zu mir geschafft haben, ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, heute noch arbeiten zu können.“ Er riss Frank das Paket grob aus den Händen. „Und parken sie ihre verdammte Scheisskarre nicht in meiner Einfahrt, sonst zeige ich sie wegen Hausfriedensbruch an. Wozu gibt’s hier ´ne Straße, häh? Damit Dienstboten wie du einer bist nicht auf meiner Einfahrt stehen, klar? Meine Einfahrt, nicht deine. M-E-I-N-E, MEINE! Und jetzt verpiss dich von meinem Grundstück, du Flasche, bevor ich mich vergesse!“
Rumms. Die Tür war zu.
„Ihnen auch einen schönen Tag, Mr. Arschloch“, sagte Frank leise zu sich, und fügte in Gedanken hinzu: „Einen wie dich müsste man eigentlich aufschneiden wie ein Brathähnchen, mit der Geflügelschere, Schnipp und weg!“
Frank blieb wie angewurzelt stehen. Er war kreidebleich, und schon wallte wieder diese Übelkeit in ihm auf, die ihn die letzten Tage immer wieder heimsuchte.
Er hatte es nicht in Gedanken hinzugefügt!
Es waren gar nicht seine Gedanken!
Jemand stand direkt hinter ihm und flüsterte ihm in sein rechtes Ohr! Ruckartig drehte Frank sich um – niemand. Außer Frank war keine Menschenseele auf der kleinen Strasse zu sehen. Es musste also Mr. Lanigan gewesen sein, und die Bemerkung mit der Schere war gegen ihn, Frank Kershner, gerichtet gewesen.
„Genau. Und dich auch, alter Mistkerl!“, brüllte er daher in Richtung von Lanigans Haustür, nun richtig in Rage.
„Nein Frank, du verstehst nicht. Du solltest ihn aufschneiden, er hat’s doch verdient, findest du nicht auch?“
Frank wurde nun richtig übel. Wieder diese Stimme.
Es konnte nicht Lanigan sein. Es war eine Frauenstimme.
Zumindest wahrscheinlich, denn die Worte wurden nur geflüstert. Und was ihn besonders erschreckte, war, dass die Stimme nicht neben, sondern in seinem Kopf ertönte!
Verdammt, jetzt werde ich endgültig verrückt!, dachte Frank. Erst dieser verdammte Schwächeanfall und nun Stimmen! Ich brauche wirklich Urlaub, Doktor Morris hatte Recht.
Frank Kershner nahm sich den Rest des Tages frei. Er würde sich morgen in aller Frühe von Doktor Morris krankschreiben lassen.
Am frühen Abend setzte er sich nach einem kleinen Abendessen an seinen Computer, um ein wenig im „Zirkel der Dunkelheit“ zu chatten. Aber es war nicht so entspannend wie sonst, denn er hatte den ganzen Tag bereits diese Stimme in seinem Kopf. Es beunruhigte ihn zwar, aber er hatte sich inzwischen regelrecht an die Stimme gewöhnt. Sie hatte den anfänglichen Schrecken längst verloren, den sie auf Frank Kershner ausgeübt hatte. Vielleicht lag es an der Art, wie sie mit ihm sprach. Schmeichelnd. Verständnisvoll. Die Stimme zeigte tiefes Verständnis für seine Unzufriedenheit bezüglich seiner Lebenssituation. Sie suggerierte ihm regelrecht, dass er bald eine zu ihm passende Partnerin finden werde, dass er die Anerkennung in der Gothic-Szene, die er sich so herbeisehnte, bald schon erfahren werde. Frank war dabei allerdings vollkommen bewusst, dass etwas mit ihm ganz und gar nicht stimmte.
Stimmen zu hören war nicht normal.
Nur Verrückte hören Stimmen, aber er war nicht verrückt. Doch nicht er!
Er brauchte Ruhe, das war klar. Viel Ruhe. Er beschloss daher, seinen Computer auszuschalten, und zu Bett zu gehen.
Doch auch zweieinhalb Stunden später hatte Frank keine Ruhe gefunden. Diese Stimme flüsterte unaufhörlich leise auf ihn ein, und er war sich mittlerweile gar nicht mehr so sicher, ob es nicht doch seine Gedanken waren, und dass er sie vielleicht nur für eine fremde Stimme hielt, weil er sie so verdammt real in seinem Kopf zu hören glaubte!
Und die Stimme, oder seine Gedanken, er war sich dessen jetzt wirklich nicht mehr sicher, kreisten die ganze Zeit um Mr.Lanigan und eine Geflügelschere, und das gefiel ihm wirklich nicht. Sicher, es würde ihm nicht leid tun, wenn die Nervensäge nicht mehr auf seiner Tour läge, aber den Tod…Nein, das wünscht man niemandem.
„Aber man darf ja noch träumen“, flüsterte die Stimme.
Stimmt. Träumen darf man., dachte Frank, und schlief endlich ein.
Am nächsten Morgen fühlte Frank sich erheblich besser. Die Stimme hatte er nicht mehr gehört, und das war seiner Meinung nach auf den erholsamen Schlaf der letzten Nacht zurückzuführen. Er stellte die Kaffeemaschine an, legte zwei Scheiben Toast in den Toaster, stellte sich Schinken, Eier und Käse auf dem Frühstückstisch bereit und ging danach noch mal kurz in den Hausflur und die Treppen hinunter zum Briefkasten, um die Tageszeitung zu holen, die er abonniert hatte. Wie immer überflog er kurz die Schlagzeilen auf der Titelseite, und sofort fiel ihm eine in dicken Lettern gedruckte Zeile auf:
„BESTIALISCHER MORD IN DER MC-GOVERN-LANE!“
Frank Kershner wunderte sich. Die McGovern-Lane lag doch auf seiner Tour!
Er wurde, während er den Artikel las, kurz nacheinander völlig steif, schrie dann entsetzt auf, schwankte etwas, fing sich dann aber sofort wieder. Er ging langsam mit hängenden Schultern die Treppe hinauf und in seine Wohnung. Dort fing er fürchterlich an zu schluchzen, brach noch in der Diele zusammen und weinte bestimmt fünf Minuten lang laut und verzweifelt, wobei er immer wieder ungläubig die Zeitung anstarrte, in der zu Lesen stand, dass in der vergangenen Nacht ein Unbekannter in das Haus Nummer 18 in der McGovern-Lane eingebrochen war, den Hausbesitzer, einen Patentanwalt namens Patrick Lanigan auf bestialische Art und Weise mit einer Geflügelschere getötet, ja geradezu in zwei Hälften geschnitten hatte, um dann mit dem Blut des Opfers ein Ω an die Wand zu schmieren.
Um Punkt neun Uhr Morgens hörte Frank auf zu weinen. Ein Besucher, wenn einer bei Frank gewesen wäre, hätte beobachten können, dass die tiefe Verzweiflung plötzlich von seinem Gesicht abfiel, und für einen kurzen Moment völlige Leere in Franks Zügen herrschte. Dann machte sich auf Franks Gesicht ein Grinsen breit, welches man nur als teuflisch bezeichnen konnte. Er stand auf, ging wortlos in die Küche, öffnete eine Schublade, holte eine mit altem Blut verkrustete Geflügelschere hervor, und ging aus der Wohnung, ohne seinen Toast gegessen oder den Kaffee getrunken zu haben. Selbst die Kaffeemaschine hatte er eingeschaltet zurückgelassen.
Im Treppenhaus begann Frank Kershner leise zu sich selbst zu sprechen. „Zeit für ein kleines Frühstück, Frank. Was hältst Du, sagen wir mal, von….Oma Brower mit Katzen als Beilage?“ kam es flüsternd und doch schrill aus seinem Mund.
Wunderbar, dachte Frank. Katze klingt gut. Und nach dem Frühstück schreibe ich dann noch ein paar E-Mails an meine Chatfreunde aus dem „Zirkel der Dunkelheit“, mit einem netten kleinen Link auf ein Ω…
ENDE
(Urheberrechtlich geschützter Text von Dirk Eickenhorst. Geschrieben 2004. Wiederveröffentlichung ohne Einverständnis des Autors untersagt.)